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Im Interview: Andrea Köchling, Betriebsprüferin beim Hamburger Finanzamt

Augen zu bei der Dokupflicht? Nach wie vor tun sich Steuerberater schwer, Mandanten für eine Verfahrensdokumentation zu gewinnen. Am ehesten zieht noch das Argument, dass bei einer fehlenden Dokumentation seitens der Behörden empfindliche Strafen drohen. Dabei gibt es gute Gründe, die Doku anzugehen – für Mandanten, aber auch für Steuerberater und Kanzleien. Im Gespräch mit Paul Liese erklärt Andrea Köchling, Betriebsprüferin beim Hamburger Finanzamt, auf was ihr achten solltet und welche Argumente eure Mandanten überzeugen könnten.

Andrea Köchling weiß, wovon sie spricht. Als Fachfrau für Verfahrensdokumentation kennt sie die Schwächen, aber ganz besonders die Stärken. Die Dokumentation aller Prozesse bietet Potenziale, mit denen sich Mandanten und Kanzleien breiter und somit sicherer für die Zukunft aufstellen können.

 

Paul Liese: Einen wunderschönen guten Morgen aus Hamburg aus dem Studio der hsp. Ich habe heute einen Gast bei mir, und zwar Frau Köchling. Frau Köchling, bitte stellen Sie sich doch kurz selbst einmal vor.

Andrea Köchling: Einen wunderschönen guten Morgen auch von mir oder moin moin, wie man das hier in Hamburg auch sagt. Ich bin hauptberuflich Betriebsprüferin und nebenberuflich selbstständige Referentin für Verfahrensdokumentationen. Und in dieser Eigenschaft wollen wir uns ja auch unterhalten. Herzlichen Dank für die Einladung. Daneben bin ich noch selbstständige Referentin für Kassenführung, Fragen im Umsatzsteuerrecht im Zusammenhang mit Zollrecht.

Paul Liese: Spannend! Welchen Stellenwert nimmt bei diesen ganzen Themen eine Verfahrensdokumentation ein?

Andrea Köchling: Gerade was die Kasse anbelangt nimmt sie mittlerweile einen sehr, sehr großen Stellenwert ein. Das hat ja mit dem Gesetz zum Schutz vor Manipulation zu tun. Das war ja in 2016. Und der BFH hat auch im Laufe der Jahre ganz viele Urteile aus 2018 entschieden, dass gerade eine Verfahrensdokumentation im Bereich der Kasse zum Ausschluss von Manipulation mit zur absoluten Grundausstattung gehört. Das heißt Vorlage der Programmierprotokolle, dass man darlegen kann, wie das Customizing ist, sprich wie die Kasse auf die Gepflogenheiten des Unternehmens programmiert und umgestellt worden ist. Denn jeder hat ja andere Anforderungen, was er bei einer Kasse gerne haben möchte. Das alles und ganz, ganz, ganz, wichtig: die Unveränderbarkeit der Eingaben der Geschäftsvorfälle. Das ist gerichtlich entschieden worden, dass das absolut vorliegen muss und wo wir als Betriebsprüfer natürlich auch drauf achten.

Paul Liese: Okay. Wenn ich ein bargeldintensives Unternehmen bin und ich in eine Prüfung komme, gibt es ja erstmal die Kassennachschau – das ist ja eine vorgelagerte Prüfung. Brauche ich da die Dokumentation auch schon?

Andrea Köchling: Ja definitiv. Das ist etwas, wonach wir gerade bei der Kassennachschau fragen. Da gehört dann alles dazu, was so zu dieser Dokumentation dazugehört. Bedienungshandbücher, Anweisungen und dergleichen gehört alles mit dazu und was der Unternehmer immer in so einem „Notfallkoffer“ haben sollte. Gerade bei dieser Kassennachschau. Ich finde, ein Unternehmer sollte sich wirklich so einen Notfallkoffer einrichten. Da gehören diese Programmierprotokolle bzw. Bedienungsanleitungen in erster Linie dazu. Ganz wichtig sind auch Telefonnummern vom Steuerberater, vom Kassenhersteller und vom Kassenaufsteller. Man hat ja immer einen Ansprechpartner bei den Kassensystemen, wenn mal die Technik nicht funktioniert und dergleichen. Und was aus meiner Sicht auch ganz, ganz wichtig ist, dass auch der Teil der Verfahrensdokumentation des Gesamtunternehmens mit da reingehört, nämlich genau die Anweisung, was die Mitarbeiter mit der Kasse machen dürfen. Denn wenn wir rauskommen und der Unternehmer selber z.B. nicht da ist, müssen die Mitarbeiter praktisch seine Pflichten uns gegenüber ausführen. Nur jeder Mitarbeiter hat ja nicht dieselben Befugnisse an dieser Kasse. Und das ist natürlich auch zu dokumentieren. Einfach zu sagen, „das kann ich nicht“, wird dann schon schwierig.

Was passiert bei der Kassennachschau?

Paul Liese: Okay. Also ich stelle mir das so vor, dass ich, wenn ich ein Unternehmer bin und eine Kasse habe, in der Hauptkasse einen USB-Stick liegen habe, wo alle Dokumente drauf sind. Und wenn es zu einer Kassennachschau kommt, kann der Mitarbeiter, der berechtigt ist, für mich da tätig zu werden, weil ich nicht im Haus bin, den Stick rausgeben. Jetzt versetze ich mich mal in die Rolle des Betriebsprüfers. Was würde ich wahrscheinlich auf dem Stick erwarten wollen? Erstmal ein Dokument, wie die Datenflüsse sind. Wie kommen die Artikel in die Kasse? Wo hängen die Steuersätze dran? Wie gehen die Daten aus der Kasse, dazu was ich verkauft habe, zurück in die Fibu?

Wäre das das erste, was man als Prüfer lesen möchte, um dann nachher in die Tiefe zu gehen und zu gucken, wie die Kasse eingestellt ist? Oder was erwartet ein Prüfer im Überblick, um erstmal zu verstehen, wie der Unternehmer arbeitet?

Andrea Köchling: Ja, genau das. Und in der zweiten Tiefe dann natürlich, wie die Datenfelder genau beschrieben sind. Weil es ja auch von Kasse zu Kasse unterschiedlich ist, welche Felder belegt sind und welche Datensätze dahinterstehen. Es ist natürlich auch schön, wenn wir mit unserem USB-Stick kommen, dass dann die Daten sofort draufgezogen werden. Aber das klappt im Moment noch in den wenigsten Fällen, dass wir die Daten sofort mitnehmen können.

Paul Liese: Also die Buchungsdaten, was in den letzten Tagen an der Kasse gemacht wurde.

Andrea Köchling: Genau. Da soll es die DSFinV-K ja richten. Das ist ja die Schnittstelle, wo der GDPdU-Datenexport stattfinden soll, sodass wir kommen und die Daten sofort mitnehmen können und nicht dann noch zwei Wochen oder länger nach der Kassennachschau warten, bis diese Daten ins Amt geschickt werden.

Paul Liese: Wie relevant ist es jetzt, in so einer Dokumentation aufzulisten, ob die Hardware vom Hersteller Casio oder Y oder Z ist oder welcher Softwarestand auf der Kasse ist? Wie relevant ist das im Vergleich zu dem, wie der eigentliche Ablauf, der Prozess und die Datenflüsse sind?

Andrea Köchling: Das ist ja, ich sag jetzt mal, das Intro. Mit welcher Kasse habe ich es denn überhaupt zu tun? Was ist das für ein Modell? Weil es da mit Sicherheit auch Unterschiede gibt. Daran kann ich z.B. auch sehen, ob das überhaupt eine Kasse ist, die ich seit dem 01.01.2017 verwenden darf. Das sind solche Basics. Wenn ich ein anderes Datenverarbeitungssystem habe, muss ich ja auch angeben, was für ein Modell oder Firma das ist und auf was für einem Versionsstand das ist. Also das ist erstmal so das Intro.

PL: Wenn ich das jetzt auf eine große Verfahrensdokumentation übertrage, die mein Unternehmen in Gänze beschreibt, ist es da tatsächlich relevant, ob der Server von HP oder von Siemens oder von IBM ist oder geht es da nicht eigentlich eher um die Software die ich verwende – wie die Daten gespeichert sind, wo die Daten gespeichert sind, wie die Flüsse sind?

Andrea Köchling: Wie die Daten gespeichert sind, woher sie kommen, wie sie gesichert werden usw. ist ja Bestandteil des IKS, also der Betriebsdokumentation. Und das ist eigentlich auch so mit das Herzstück, was der Unternehmer machen muss. Die große Verfahrensdokumentation des Gesamtunternehmens unterteilt sich ja in vier Bereiche. Wir haben einmal die allgemeine Information, dann haben wir die Anwenderdokumentation, die Systemdokumentation und die Betriebsdokumentation. Zwei davon sind definitiv vom Unternehmer zu erstellen, die allgemeine Beschreibung und die Betriebsdokumentation. Die anderen beiden kommen von dem Hersteller des datenverarbeitenden Systems, also die Anwenderdokumentation und die technische Systemdokumentation. Und all das zusammen gibt dann im Endeffekt nachher die Verfahrensdokumentation des gesamten Unternehmens.

Paul Liese: Aus meiner Perspektive ist also der Schwerpunkt der Dokumentation: Wie sind die Abläufe bei mir im Unternehmen? Und welche Systeme, welche Software, welche Datenschnittstellen verwende ich, um mein Unternehmen durchzuführen?

Andrea Köchling: Ja.

Paul Liese: Wenn ich mit Beratern spreche, habe ich ganz oft die Situation, dass dieser Glaube existiert, dass Verfahrensdokumentation gleich belegersetzendes Scannen ist. Aber da gehört ja noch viel mehr dazu, denn wenn ich Belege scanne, habe ich ja irgendwo Post bekommen oder ich habe Post verschickt, aber damit ist ja noch gar nicht die Entstehung der Dokumente begründet und beschrieben.

Andrea Köchling: Ja. Und vor allem: Sie werden mit Sicherheit auch immer noch Unternehmen haben, die vielleicht ihre Dokumente nicht scannen. Und auch die brauchen ja eine Verfahrensdokumentation. Ich habe da selber mal so eine Erfahrung in einer Prüfung gehabt. Ich hatte ein sehr großes Unternehmen, das zu 98 % Auslandsumsätze getätigt hat, also ganz viel Interaktion mit dem Zoll und mit Speditionen. Die hatten sich ein eigenes Programm geschrieben, um diese ganzen Datenströme zu verwalten. Und dann habe ich nach einer Verfahrensdokumentation gefragt. Da war die Inhaberin dann ganz stolz und hat mir die Verfahrensdokumentation zum belegersetzenden Scannen von dem Deutschen Steuerberaterverband in Word auf den Tisch gelegt – das waren glaube ich 60 oder 70 Seiten, alleine nur dieser Teil – und da hab ich gefragt: „Ist das alles?“ Da ist die in Tränen ausgebrochen. Das tat mir natürlich unheimlich leid. Aber das belegersetzende Scannen war gar nicht so der Schwerpunkt in diesem Unternehmen, sondern es ging vielmehr darum, wie überhaupt dieses selbstgeschriebene Programm funktioniert. Was macht das mit den Daten? Wie werden die Zolldaten eingespielt, abgefragt oder dergleichen? Also dieses belegersetzende Scannen war eigentlich – ich drücke es jetzt mal vorsichtig aus – der unwesentlichste Teil dieses Gesamtunternehmens.

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Paul Liese: Ich habe so ein bisschen den Eindruck, dass, wenn Sie für eine Prüfung zu uns ins Unternehmen kommen, es Ihnen vielmehr helfen würde, wenn man Ihnen so ein Flussdiagramm hinlegt, wo die Abläufe des Unternehmens in einer Prozessdarstellung visualisiert sind und an die einzelnen Prozessschritte gehängt ist, wer verantwortlich ist, welche Software verwendet wird, wo die Daten liegen und welche Risiken bestehen, als wenn Sie ein 100-Seiten-Pampflet über irgendwelche Server oder irgendwelche Datenspeicher und dergleichen bekommen. Oder?

Andrea Köchling: Ja. Das ist auch das, was ich in meinen Vorträgen und Seminaren immer wieder sage: „Wenn ihr etwas malen könnt, wenn ihr etwas zeichnen könnt – Organigramme ist das Stichwort – dann zeichnet und malt.“ Wir sind alle visuelle Menschen. Das ist nämlich viel einprägsamer, wenn ich die Flüsse sehen kann, als wenn ich mir erstmal 100 oder 200 Seiten – je nachdem wie groß das Unternehmen ist – oder vielleicht noch mehr durchlesen muss. Das Organigramm gehört aus meiner Sicht und aus meinem Verständnis eigentlich sofort in die allgemeine Beschreibung. Nach dem Namen kommt das Organigramm, so ungefähr. Das ist ganz extrem wichtig. Und auch in den einzelnen Schritten: wenn Sie da irgendetwas grafisch darstellen können, tun Sie das.

Paul Liese: Ich hatte in den letzten Wochen und Monaten häufig das Vorrecht, mit einem Berater und dessen Mandanten eine Verfahrensdokumentation zu schreiben, und wir haben das dann auch so gemacht, indem wir die Prozesse visualisiert haben. Während der Mandant erzählt hat, was er in seinem Unternehmen wie tut, und wir das gezeichnet und beschrieben haben, musste der Mandant immer warten, bis ich fertiggetippt hatte. Und man merkte bei dem Mandanten richtig, wie das Denken anfing. Warum tue ich das eigentlich so? Ist das noch richtig, wie ich das so tue? Und dann kommt man ins Gespräch und da entsteht eigentlich der Mehrwert der Dokumentation. Deswegen spreche ich auch mittlerweile lieber von einer Prozessdokumentation als von einer Verfahrensdokumentation. Weil man darüber nachdenkt und darüber spricht und feststellt: „Hey, der Prozess ist so nicht optimal. Das können wir viel besser.“

Einzelunternehmer: Notfallplan benötigt

Andrea Köchling: Das ist schön, dass Sie das Beispiel geben, weil das nämlich mein Lieblingspart von der Verfahrensdokumentation ist. Nämlich der absolute Nutzen und der absolute Mehrwert für das Unternehmen. Einige Steuerberater haben mir mittlerweile gespiegelt: „Nein, das kann ich meinem Mandanten überhaupt nicht verkaufen. Das will der nicht.“ Dann habe ich gesagt: „Oh wie schade. Stell ihm doch einmal den ganzen Nutzen dar.“ Ich kann Prozesse optimieren. Ich kann vielleicht sogar Kosten einsparen. Wenn ich eine Verfahrensbeschreibung für einen Arbeitsplatz habe und was ja eigentlich schon immer vorliegt, können sich Leute schneller einarbeiten, die vielleicht neu im Unternehmen sind. Es geht kein Wissen verloren, wenn jemand ausscheidet und dergleichen. Ich habe auch eventuell einen gewissen Schutz, wenn ich sage: „Okay, liebe Finanzverwaltung, ich habe hier ein Tax Compliance System. Das läuft hier alles. Ich habe hier keine Manipulation vorgenommen. Ich habe meine Daten gesichert. Ich habe meine Daten geschützt.“ Und was aus meiner Sicht ganz, ganz wichtig ist und das betrifft die Einzelunternehmer: Ich brauche nicht nur eine Sicherheit oder einen Schutz für die elektronischen Daten, sondern der Unternehmer, gerade wenn er Einzelunternehmer ist, braucht eigentlich auch einen Notfallplan für sich selbst. Weil bei ganz vielen alten traditionsreichen Unternehmen, wo das Unternehmen schon mehrere Generationen alt ist, hat der Seniorchef hat alles im Kopf gespeichert – die Kontakte, wann er wo wen kennen gelernt hat, wie das alles läuft. Wenn dem mal etwas passiert, sind die Erben arm dran. Denn das Wissen ist weg. So böse sich das anhört: Sie kennen bestimmt die Fußstapfentheorie; der Finanzverwaltung ist das respektierlich gesagt eigentlich egal. Die Erben haben die Verpflichtung, dass alles so weiterläuft. Die sind dann für uns die Ansprechpartner. Letztens hat mir ein Steuerberater gesagt: „Der Inhaber ist verstorben. Keiner wusste, wie es weitergeht. Die Firma musste schließen.“ Das ist ja katastrophal.

Paul Liese: Das bringt mich zu dem Punkt, dass so eine Dokumentation ja auch hilft, wenn man sein Unternehmen in einer Unternehmensnachfolge verkaufen möchte. Da gibt es einen zweiten Begriff, den ich für eine Verfahrensdokumentation ersatzweise gerne verwende, nämlich Unternehmerhandbuch. Wo alles beschrieben ist, wie das Unternehmen funktioniert, wie die Verantwortlichkeiten geregelt sind, und auch dass Mitarbeiter, wenn ich mal ausfallen sollte, wissen, was zu tun ist und wer ansprechbar ist. Deswegen bin ich auch mittlerweile zu der Überzeugung gekommen, dass die Finanzverwaltung nichts Böses vorhatte, als sie den Unternehmen gesagt hat: „Bitte schreibt eine Dokumentation.“ Auch im Rahmen der Pandemie, die wir aktuell haben, sind aus meiner Sicht die Unternehmen, die eine Dokumentation haben, besser vorbereitet auf Situationen, die man von heute auf morgen nicht beurteilen kann und die sich von heute auf morgen verändern, weil sie einfach wissen, was sie machen müssen. Wenn wir nochmal zurück zur Kasse kommen: Wir haben die Umsatzsteueränderung zum 01.07.2020 gehabt. Jetzt stehen wir kurz davor, die Rolle rückwärts zu machen und dass alles am 1. Januar wieder zurückgeht. Die, die wussten, wer der Kassenaufsteller war, wie die Kasse eingerichtet war, wo es Programmierprotokolle gab, die wussten sofort, was zu tun war. Ich kann mir vorstellen, dass es in den kommenden Jahren ein Prüfungsschwerpunkt sein wird, wie die Umstellung gelaufen ist und ob das richtig gelaufen ist. Wenn man dann die Dokumentation nicht hat und nicht nachweisen kann, wie man das Ganze umgestellt und wieder zurückgestellt hat, hat man immer Diskussionen und das ist so unnötig.

Andrea Köchling: Ja. Ich möchte noch einmal zurück zu dem Mehrwert einer Verfahrens- oder Prozessdokumentation kommen. Letztens hat mir ein Steuerberater gesagt: „Ich nehme neue Mandate nur, wenn die mir eine Verfahrensdokumentation geben. Die lese ich mir erstmal durch, damit ich einen Eindruck bekomme, ob der Mandant überhaupt zu mir passt, ob ich den überhaupt haben möchte oder ob ich denke, dass der nicht zu mir passt.“ Das ist z.B. ein Mehrwert. Und der andere Mehrwert ist ganz klar: Manche Sachen gehen einfach schneller. Die lassen sich schneller umsetzen. Ich kann mal nachschlagen oder in der Versionierung sehen: „Dann und dann habe ich das und das geändert.“ Wir Betriebsprüfer kommen ja immer für die Vergangenheit. Manchmal weiß man nicht mal mehr, was man vor drei Tagen gegessen hat. Wie soll ich dann wissen, was vor drei Jahren am 01.07. war? Das macht dann eine Betriebsprüfung einfach viel schneller. Nämlich wenn der Unternehmer nachgucken kann und sagen kann: „Hast du es vergessen? Da war doch das und das.“ Und dann sagt die andere Seite: „Ach ja, Mensch, das war mir auch durchgegangen. Da habe ich nicht mehr dran gedacht.“ Das kann ja auch ein Mehrwert sein.

Paul Liese: Das Thema gilt ja schon seit den 90er Jahren und dann wurde es 2015 ja noch einmal ganz konkret verfasst und noch einmal in den neuen GoBD bestätigt. Wenn man jetzt endlich der Meinung ist, man möchte so etwas auch machen. Wie fängt man damit an? Was ist Ihre Empfehlung?

Andrea Köchling: Das ist so ein bisschen Geschmackssache, würde ich sagen. Es gibt ja sehr viele kostenlose Word-Dokumente. Bei der DFKA – das ist der Deutsche Verband für Kassen – kann man z.B. zur Kassendokumentation kostenlose Unterlagen auf deren Homepage herunterladen und ausfüllen. Es gibt vom Deutschen Steuerberaterverband Word-Dokumente, die man ausfüllen kann, die man sich ausdrucken und anpassen kann. Ich persönlich mag das gerne online. Es gibt mittlerweile sehr gute Online-Anbieter, die gar nicht teuer sind. Das ist nämlich auch so etwas, was oft in den Köpfen der Steuerpflichtigen und auch der Steuerberater drin ist. Nach dem Motto: „So eine Verfahrensdokumentation kostet 20.000,00 € oder 30.000,00 €. Ich bin doch nur so ein kleines Unternehmen. Das kann ich mir doch alles gar nicht leisten.“ Das ist absolut nicht wahr. Es gibt wirklich günstige Onlinetools – günstig bedeutet nicht billig und schlecht –, die gut arbeiten.

Paul Liese: Von der Risikoabwägung her: Wenn ich jetzt viel Bargeld bewege, würde ich mit der Kassendokumentation anfangen, weil das das ist, was mir als erstes unverhofft ins Haus schneien kann, ohne dass ich zwei Wochen Vorlauf habe, weil sich jemand ankündigt. Und im nächsten Schritt mache ich die Dokumentation über mein Gesamtunternehmen. Ich glaube der einfachste Weg von der Methodik her ist zu sagen: „Ich mache mir erstmal über meine Prozesse Gedanken, wie funktioniert mein Unternehmen, male diese Prozesse auf und schreibe das runter.“

Andrea Köchling: Genau. So würde ich das auch machen. Ein anderes Vorurteil, was immer noch so ein bisschen rauskommt, ist dass der Unternehmer denkt: „Da ist jetzt erstmal so ein riesiger Berg, den ich bewältigen muss. Ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll. Wie mache ich das denn bloß? Ich habe ja nichts.“ Das ist ja nicht wahr. Denn es sind ganz viele Fragmente schon im Unternehmen enthalten. Man hat sich das nur nicht so bewusst gemacht. Man weiß eigentlich nur nicht, dass das schon Bestandteile einer Verfahrensdokumentation sind. Die Arbeitsplatzbeschreibung beispielsweise oder wer für was zuständig ist, wer welche Passwörter hat, wo ich die Daten abspeichere, wo mein Server steht. Das sind ja alles Informationen, die im Unternehmen an irgendeiner Stelle mit Sicherheit schon aufgeschrieben sind. Und die Verfahrensdokumentation ist eigentlich das Bündeln, dieses Gesamtwerk der ganzen Informationen, die im Unternehmen vorhanden sind.

Paul Liese: Richtig. Eigentlich bringe ich mein gesamtes Unternehmen und alle Dokumente, die ich schon habe, an eine Stelle zusammen, ordne sie, sortiere sie, ergänze noch um die Verbindung zueinander und habe dann ein Gesamtwerk. Und das, woran mein Team und ich aktuell arbeiten, ist, dass diese Dokumentation anfängt zu leben. Viele schreiben ja eine Verfahrensdokumentation, dann hängt die im Schrank und irgendwann zwei, drei Jahre später fällt auf, dass man mal etwas aktualisieren müsste. Aber wir arbeiten daran, dass das ein lebendes Dokument wird, sodass man, wenn man diese einzelnen Prozessschritte aufgezeigt hat, auch in den Verantwortlichkeiten der Prozessschritte den Verantwortlichen Aufgaben zuweist, z.B. neue Debitoren, neue Kreditoren, Umsatzsteuer-Identifikationsnummern-Prüfung, regelmäßig über den Weg. Prozesse beschreiben; der Mitarbeiter, der verantwortlich ist, kann lesen, wie der Prozess abläuft, und kann zurückschreiben: „Wir können das vielleicht so und so machen, dadurch wird es effizienter.“ So entstehen automatisch Versionierungen meiner Dokumentation und das gesamte Team ist miteingebunden. Es bringt ja nichts, wenn ich einen QM‑Beauftragten im Unternehmen habe, der rechts und links aus den Abteilungen die Informationen holt und dann liegt das erstmal wieder und ist schon nach einem halben Jahr nicht mehr auf dem aktuellen Stand.

Andrea Köchling: Das ist genau so, wie Sie das richtig gesagt haben. Die Inhalte einer Verfahrensdokumentation müssen auch so gelebt werden. Ich kann nicht jetzt eine erstellen und die 20 Jahre irgendwo im Schrank liegen oder auf einer Platte gespeichert haben. Immer wenn sich etwas ändert, muss die angepasst werden. Es ist so – da gab es eine Änderung in der GoBD –, dass man in den 10 Jahren nicht immer alle Versionen aufzuheben hat, sondern nur die aktuell letzte. Mir ist das letztens in einer Prüfung passiert. Ich habe in der Finanzbuchhaltung eine Rechnung angefordert, da war ein Buchtext, ich habe die Rechnung bekommen und da stand als Leistender jemand ganz anderes drauf. Und dann habe ich gesagt: „Das verstehe ich jetzt nicht.“ Hintergrund des Ganzen war, dass die Firma, von der ich die Rechnung hatte, die andere Firma, die in dem Buchtext stand, übernommen hat. Das war für mich aber nicht ersichtlich. Die Dame in der Buchhaltung konnte mir das eins zu eins sagen. Die sagte: „Ich gucke mal eben in den Stammdaten nach. Ach ja, dann und dann ist diese Firma von der anderen übernommen worden. Ich schicke Ihnen das mal eben. Ich habe hier ein Schreiben, in dem die das anzeigen.“ Allerbest.

Prozesse reflektieren und optimieren

Paul Liese: Wenn das ERP-System historisierte Stammdaten kann. Das ist auch wieder so ein Thema. Ist das System GoBD-konform? Kann es das?

Andrea Köchling: Es gibt natürlich auch solche Spezialisten, die einfach alles überschreiben. Und dann sieht man nicht, was wann überschrieben wurde, weil die Veränderungen nicht festgeschrieben werden. Da sind wir wieder bei dem Thema GoBD-konform und Unveränderbarkeit. Und dann gibt es natürlich auch immer noch Steuerberater, die ganz extrem sind, die sagen: „GoBD interessiert mich eigentlich gar nicht. Das ist kein Gesetz. In den GoBD steht drin, dass jedes datenverarbeitende System eine Verfahrensdokumentation braucht, und das ist ja schon seit November 1995 so, weil das damals schon in den GoBS stand. Interessiert mich alles gar nicht. Ist ja kein Gesetz. Mache ich nicht. Brauche ich nicht. Und das verkaufe ich auch meinen Mandanten.“ Kann man so machen. Ich persönlich finde das sehr unglücklich und auch sehr schade. Den ganze Nutzen haben wir ja gerade herausgearbeitet und Sie haben das ja selber auch erlebt. Der Unternehmer fängt ja an, nochmal die Prozesse zu reflektieren und darüber nachzudenken. „Warum mache ich das so? Naja, weil ich das schon seit 20 Jahren so mache. Okay, aber es hat sich technisch ja auch einiges geändert. Das könnte ich ja optimieren.“ Und das ist ja auch gerade so spannend für den Steuerberater. Ich habe doch viel mehr Möglichkeiten, den Steuerpflichtigen zu beraten, mit ihm in Kontakt zu treten und zu sagen: „Mensch, wenn ich das verändere, habe ich auch ganz andere steuerliche Möglichkeiten.“ Ich finde es einfach so schade, dass man Steuerberater hat, die leider so eine Angstmentalität verbreiten, die sagen: „Das böse Finanzamt will das jetzt haben und deswegen musst du das machen.“ Das finde ich einfach so schade. Denn ich kann mit einem Betriebsprüfer nicht über die GoBD diskutieren. Das ist eine Dienstanweisung, an die er sich zu halten hat. Wenn bei mir so ein Steuerberater aufkommt, verweise ich immer auf die Abgabenordnung § 146. Da stehen die Grundsätze der ordnungsgemäßen Buchführung komprimiert drin. Einzeln, nachvollziehbar, unveränderbar und, und, und. Das sind diese ganzen Grundsätze.

Paul Liese: Ich habe das Gefühl, dass Steuerberater, die so agieren, wie Sie sie gerade beschrieben haben, eigentlich Angst davor haben, was sie beim Mandanten finden, wenn sie die Dokumentation schreiben. Ich habe häufig den Fall, dass Berater, wenn sie eine Dokumentation mit ihrem Mandanten schreiben, erst verstehen, wie der Mandant überhaupt arbeitet und auf einmal erlernen, wie Daten entstehen, die am Ende in die Finanzbuchhaltung beim Steuerberater fließen oder im Jahresabschluss bewegt werden.

Andrea Köchling: Das mag so sein, ja. Obwohl man jetzt auch mal eine Lanze für die Steuerberater brechen muss. Ich finde, der Job ist manchmal auch recht schwierig. Die stehen zwischen Baum und Borke. Auf der einen Seite sind wir, die Finanzverwaltung, die Betriebsprüfung im speziellen, die Sachen fordert, auf der anderen Seite ist dann aber der Mandant, der sagt: „Das hast du mir nicht gesagt.“, obwohl der Berater ihm das 40 000 Mal gesagt hat und ihm Schreiben geschickt hat und, und, und. Aber wenn es dann in der Betriebsprüfung wirklich zu Nachzahlungen kommt, ist immer der Berater schuld. Obwohl das absoluter Quatsch ist. Denn es gibt natürlich auch Mandanten, die sagen: „So what? Ich bin ein Kleinbetrieb. Ich werde alle 50 Jahre mal geprüft. Das Risiko gehe ich ein. Ist mir doch alles egal.“ Diese Mandanten gibt es natürlich auch. Und da kann ein Berater sich einfach nur selbst schützen und sagen: „Dann und dann habe ich den informiert. Dann habe ich den wieder informiert. Der will einfach nicht.“, und sich das im Notfall auch unterschreiben lassen. Ich weiß auch von Steuerberatern, die sagen: „Mittlerweile haben wir ein Schreiben aufgesetzt. Wir weisen auf die Vorzüge der Verfahrens- oder Prozessdokumentation hin. Und wenn der Unternehmer nicht möchte, dass wir eine erstellen oder bei der Erstellung helfen oder was auch immer in diesem Zusammenhang, lassen wir uns das unterschreiben. Das lassen wir uns schriftlich geben.“

Paul Liese: Das ist auch absolut sinnvoll, weil es diese Mandanten gibt, die das nicht wollen. Ich klassifiziere immer zwischen A-, B- und C‑Mandanten. Der A‑Mandant hört sofort, was der Steuerberater ihm sagt und sagt: „Ja, machen wir, du als mein Berater. Das ist wichtig. Legen wir los.“ Die B‑Mandanten sind eher so: „Muss ich wirklich?“ Und der C‑Mandant möchte gar nicht, bis es einschlägt. Was ich aber häufig auch feststelle ist, dass die Berater sich damit schwertun, ihre Leistung, mit dem Mandanten eine Dokumentation zu erstellen, zu bepreisen. Und ich komme immer wieder zu dem Punkt, dass die Berater – gerade jetzt in der Pandemie-Situation – ein Interesse daran haben, ihre Mandanten auf digital umzustellen, was die Belegübermittlung in die Kanzlei betrifft. Und spätestens an dem Punkt ist man ja schon in der Prozessprüfung. Wie bekommt der Mandant am besten die Belege in die Kanzlei? Das ist ja schon der erste Schritt in eine Verfahrensdokumentation. Wenn ich das, was ich mit dem Mandanten bespreche, wie die Belege in die Kanzlei kommen, gleich runterschreibe und auch gleich ergänze, wie die Belege überhaupt entstehen, die er mir schickt, habe ich ja schon einen großen Teil der Dokumentation geschafft. Es hört sich immer so riesig an, eine Dokumentation zu schreiben, aber eigentlich ist es das gar nicht, wenn man mit der Methodik umgeht – zielgerichtet mit einem Prozessablauf und daran hängend die ganzen Abhängigkeiten.

Andrea Köchling: Ja. Ich gebe in meinen Seminaren immer einen kleinen Leitpfaden: „Fangt doch erstmal klein an. Die allgemeine Beschreibung. Fang doch einfach mal damit an. Und dann wirst du ja sehen, wo denn diese Schwerpunkte sind.“ Es gibt eine Online-Verfahrensdokumentation, die mit diesen Fragen arbeitet. Das ist wie so ein Leitpfaden. Dann werden Fragen gestellt, die man mit Ja oder Nein beantworten kann, bzw. man sagt: „Bei mir läuft das so und so.“, und wirklich den Prozess dann beschreibt. Ich habe auch schon Online-Tools gesehen, die für den Betriebsprüfer eine Prüferrolle haben. Das heißt, da kommen nicht 100 Seiten ausgedrucktes Papier, sondern der Betriebsprüfer hat die Möglichkeit, online einen Lesezugriff zu bekommen. Und in den Tools gibt es auch die Möglichkeit, dass man Aufgaben verteilt. Wie Sie das gerade gesagt haben: Es arbeiten mehrere an einem Dokument. Jeder hat andere Verantwortlichkeiten. Da gibt es natürlich einen Administrator, der alle Rechte hat. Der kann dann sagen: „Da und da fehlt mir noch etwas. Hier, Kassenhersteller, das ist dein Part.“ Oder: „Da fehlt mir noch dieses, jenes, welches. Das ist der Part von Frau XY. Die kümmert sich um die Lohnbuchhaltung.“ Oder was auch immer. Sodass man da sagen kann: „Ihr müsst dem Gesamtdokument zuarbeiten.“

Paul Liese: Genau. Ich denke, zusammenfassend kann man sagen: In der Dokumentation liegt eine Chance. Und das ist nicht ausschließlich für die Finanzverwaltung, sondern das ist eigentlich für mich als Unternehmer.

Andrea Köchling: Ja.

Paul Liese: Von daher ist der positive Zwang, den die Finanzverwaltung dort ein bisschen ausspricht, eigentlich für mich zum Vorteil gedacht, mich auf Sachen vorzubereiten, mein Unternehmen besser zu führen, Risiken zu minimieren, weil ich mich damit beschäftige und entsprechend weiterentwickle.

Andrea Köchling: Auf jeden Fall. Das sehe ich auch so.

Paul Liese: Vielen Dank für Ihre Zeit und für die interessanten Informationen und mal aus der Sicht eines Prüfers zu hören, wie die Erwartungshaltung ist und was man dem Unternehmen mitgeben möchte und dass man eigentlich nur das Beste für das Unternehmen will, was ich ja schon von vornherein so gesehen habe und immer noch so sehe. Von daher, der schwarze Peter liegt eigentlich bei dem, der es nicht tut.

Andrea Köchling: Ja. Wie gesagt, der Nutzen und die Vorteile überwiegen für den Unternehmer eigentlich. Ich kann es natürlich verstehen. Man scheut sich erst ein bisschen das anzugehen. Aber ich vergleiche das immer gerne mit dem Gang zum Zahnarzt. Das erste Mal tut es vielleicht ein bisschen weh. Aber wenn ich das dann einmal geschafft habe, ist das ein Selbstgänger.

Paul Liese: Ganz genau so ist das. Also vielen Dank für Ihre Zeit.

Andrea Köchling: Sehr gerne.

Paul Liese: Bleiben Sie gesund.

Andrea Köchling: Das wünsche ich Ihnen auch und allen Zuhörern und Zuschauern natürlich auch.

Paul Liese: Genau, wir wünschen allen Zuhörern, dass sie gesund bleiben, erfolgreich durch die schwierigen Zeiten kommen. Bis bald!