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Ständig neue Anforderungen, dazu jede Menge Mandanten mit unzähligen Anfragen und Aufgaben. Steuerberaterinnen und Steuerberater stehen permanent unter Druck. Doch was macht dieser ständige Druck mit dem Menschen hinter dem Beruf? Welcher Umgang ist der Richtige? Darüber spricht Paul Liese mit Achim Kremulat, selbständiger Mentor und Coach für Steuerberater:innen. Achim arbeitete jahrelang als Steuerberater und gehörte zuletzt der Geschäftsführung einer Kanzlei an. Aus persönlicher Erfahrung entschied er sich, als Life- und Business-Coach Menschen in der Steuerbranche bei der Stressbewältigung zu helfen.

Achim hat die gesamte Karriereleiter in der Steuerberatung erklommen. Angefangen hat alles nach seinem BWL-Studium als Prüfungsassistent in einer renommierten Kanzlei. 2007 legte er seine Steuerberaterprüfung ab. Da er sich zusätzlich unternehmerisch einbringen wollte, kaufte er Anteile und wurde Partner. Die Kanzlei betrieb drei Standorte mit insgesamt 60 Mitarbeitenden. Mit 38 Jahren erlebte Achim einen Burnout, was ihn zu einem Ausstieg von einem ganzen Jahr zwang. Mit 39 Jahren erlitt er einen Schlaganfall. Dies veranlasste ihn zu einer radikalen Änderung seiner Lebensweise. Seit anderthalb Jahren arbeitet Achim als Coach. In seiner neuen Tätigkeit hilft er Steuerberaterinnen und Steuerberatern, mit Druck umzugehen. Dabei bringt er seine eigenen Erfahrungen und Erlebnisse in die Coachings ein.

Die Steuerberatungsbranche erlebt viel Druck, die von außen kommt. Etwa dann, wenn die Finanzverwaltung Fristen setzt. Wie können Steuerberater:innen mit diesem Druck umgehen? Zunächst einmal, so Achim, sei es wichtig, nicht zu reagieren, sondern zu agieren. Seiner Ansicht nach sind viele Steuerberater:innen selbst ihre besten Mitarbeitenden. Statt aber wie eine freiberufliche Person zu denken, sollte unternehmerisch gehandelt werden. Das bedeutet: planen statt abarbeiten. Welche Aufgaben können von welcher Mitarbeitenden übernommen werden? Das sind die Fragen, die sich Steuerberater:innen in Führungspositionen stellen sollten.

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Alles muss man selbst machen – oder etwa nicht?

Viele Steuerberater:innen haben Schwierigkeiten damit, Verantwortung abzugeben und Arbeit zu delegieren. Von Haus aus sind sie es gewohnt, alle Aufgaben selbst zu erledigen. Gerade die Macher:innen steigen zu Führungskräften auf. Doch auf dem Weg zur Kanzleispitze lernen viele nicht, wie ein Unternehmen geführt wird. Achim empfiehlt allen, die sich mit dem Delegieren schwertun, bei sich anzufangen. Bin ich überhaupt in der Lage, Unternehmer:in zu sein? Möchte ich Unternehmer:in sein? Wenn ja, was braucht es dafür? Die Führung eines Unternehmens lernen Steuerberater:innen nicht, weder im Studium noch später in der Kanzlei. Wie in jedem anderen Bereich auch, muss das erforderliche Wissen also erworben werden. Die Entscheidung zum Lernen müssen die angehenden Unternehmer:innen ganz bewusst treffen.

Macht Achim als Coach den Steuerberater:innen klar, ob sie ein Unternehmen führen sollten oder nicht? Der Coach verneint deutlich. Er teilt zwar seine Erfahrungen und kann vor bestimmten Arten von Fehlern warnen. Allerdings sei es wichtig, dass die Coachees selbst darauf kommen, wo ihr Platz ist. In der Steuerberatungsbranche habe es sich festgesetzt, dass das natürliche Karriereziel jeder beratenden Person die Unternehmensführung sei. Doch Achim ist der festen Überzeugung, dass dies nicht stimmt. Auch im Angestelltenverhältnis können Steuerberater:innen exzellentes Geld verdienen. Außerdem seien viele wesentlich glücklicher, da sie sich nicht um die unternehmerischen Fragen kümmern müssten.

Der Körper lügt nicht

Stress und Druck äußern sich beim Menschen auf unterschiedlichste Weise. Symptome wie Gedankenkreisel, Magenschmerzen, Kopfschmerzen, Tinnitus oder Rückenprobleme können Warnzeichen sein. Auch bei Achim häuften sich solche Beschwerden, zudem schlief er immer schlechter und litt monatelang an einer Magenschleimhautentzündung. Der Körper sendet Warnsignale aus und erzeugt psychosomatische Symptome. Als Achim sich eingestand, dass die Schmerzen womöglich psychische Ursachen haben könnten, verschwand die Entzündung. Denn das Warnsignal war angekommen.

Die Versagensangst spielt bei der Verdrängung der Symptome eine große Rolle. Doch Achim weist darauf hin, dass eine Erschöpfungsdepression eine Krankheit ist. Und für eine Krankheit muss sich niemand schämen. Durch sein Eingeständnis habe Achim einen neuen Zugang zu seinen Kolleg:innen und Mandanten bekommen. Er war nicht mehr nur der Steuerberater und Macher, sondern ein Mensch. Durch das Ansprechen dieser Krankheit, aber auch das Präsentieren von Lösungen kam er auf eine ganz neue Vertrauensebene mit seinem Umfeld.

Mit neuer Fehlerkultur zu einer gesunderen Gesellschaft

Paul macht drauf aufmerksam, dass wir als Gesellschaft eine Kultur etabliert haben, die zum Durchhalten anstachelt. Dabei zeigen andere Kulturen, dass jedes Scheitern eine Chance für einen Neuanfang bietet. Seiner Ansicht nach sind alle aufgefordert, an einer neuen Fehlerkultur zu arbeiten. So könne man Kindern beibringen, bewusst mit dem Scheitern umzugehen, ohne dass daraus Niederlagen werden. Dazu gehört auch, unter Kolleg:innen genau hinzuhören und sich die Zeit zu nehmen, nach deren Befinden zu fragen. Führungspersonen können die neue Kultur vorleben, indem sie selbst über ihr Befinden offen sprechen. Auch ist es wichtig, dass sie bei ihren Mitarbeitenden immer wieder aktiv nachfragen.

Zum Schluss appelliert Achim noch einmal, bei Warnsignalen zu handeln und nicht den Kopf in den Sand zu stecken. Gerade heute gibt es eine Menge Möglichkeiten, Dinge zu ändern, auch wenn die Situation noch so aussichtslos erscheint. Wenn nichts mehr geht, können sich Veränderungen nur lohnen.