Steuerkanzleien sind es mittlerweile gewohnt, dass der eine oder andere Mandant zwecks Dokumentationsthemen auf sie zukommt. Meist geht es um die Pflichterfüllung mit der Erstellung einer Verfahrensdokumentation. Nicht selten werden aber durch die Prozesserfassung Grundlagen für Optimierungen gelegt, etwa in Richtung Digitalisierung. Doch was ist mit der Steuerkanzlei selbst? Lohnt es sich für sie, die eigenen Prozesse zu dokumentieren, um Learnings zu ziehen und Potenziale zu erkennen? Zudem stellt sich die Frage, ob die Dokumentation selbst oder durch einen externen Dienstleister erstellt wird. Im Gespräch mit Paul Liese erzählt Steuerberater und Mitinhaber einer Kanzlei Hendrik Gertz über seine Erfahrungen mit der Dokumentation.

Hendrik Gertz ist Mitinhaber der Kanzlei Gertz Steuerberatungsgesellschaft mbH in Wilster bei Itzehoe, Schleswig-Holstein. Gemeinsam mit seinem Bruder leitet er in dritter Generation das Geschäft. Er selbst arbeitet seit 1999 als Steuerberater. Anfang 2022 hat die hsp begonnen, für die Kanzlei die ersten Prozesse zu dokumentieren. Schon bei der ersten Erfassung der FiBu stellte sich heraus, dass die Mitarbeitenden jeweils ihre eigenen Prozesswege entwickelt und genutzt hatten. An der Stelle gab es bereits längere Diskussionen, wie in Zukunft ein einheitlicher Prozess gestaltet sein soll.

Wie wichtig eine Dokumentation ist, hat Hendrik bereits erfahren, als vor einiger Zeit ein Mitarbeiter die Kanzlei verlassen hat. Dessen Wissen war dokumentiert worden und stand auch nach Abgang des Mitarbeiters der Kanzlei zur Verfügung. Bei der Frage nach der richtigen Software ist Hendrik der Meinung, dass die Prozesse entscheidend sind. Diese geben vor, welche Software zum Einsatz kommt. Besonders bei agilen Themen, die auch noch zeitkritisch sind, spielt die Prozessdokumentation ihre Stärken aus. Aktuell zählt die Grundsteuerreform zu den besten Beispielen.

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Prozesse erfassen und visualisieren

Wie lassen sich Prozesse visualisieren? Zur Demonstration ruft Paul im Webbrowser die Internetseite bpmn.io auf. Bei diesem Service handelt es sich um eine kostenlose Plattform, auf der webbasiert Prozesse erfasst und visualisiert werden können. Mit einem Klick auf „Try online“ öffnet sich die Arbeitsfläche. Gestartet wird mit einem Kreis, der den Prozessstart darstellt. Mit einem Klick auf den Kreis öffnet sich ein Kontextmenü, das mehrere Optionen für den nächsten Schritt im Diagramm anbietet.

Beim Thema Grundsteuer nennt Hendrik als ersten Prozessschritt die Information der Mandanten über die Grundsteuerreform. Die Feedbackquote bezeichnet Hendrik als gering. Der Großteil der Mandanten wusste bereits, dass die Grundsteuerreform auf sie zukommen würde. Als nächster Prozessschritt steht also ein Gateway an, also eine Gabelung mit mehreren Optionen. Das Gateway lautet: Warten auf die Entscheidung des Mandanten. Je nachdem, welche Entscheidung er trifft, wird im Prozessverlauf ein eigener Weg eingeschlagen. Nun müssen diese Wege einzeln definiert werden.

Schritt für Schritt zur Prozessvisualisierung

Eine Option lautet: Der Mandant meldet sich nicht. Dafür kann es unterschiedliche Gründe geben. Er könnte sich selbst um das Thema kümmern oder einer anderen Stelle den Auftrag geben. Hendrik wirft ein, dass es bei auftretenden Problemen durchaus vorkommen könne, dass dieser Mandant nach einer Weile doch bei der zweiten Option landet: Er meldet sich. Der erste Prozessschritt dieses Strangs lautet: Sammeln der Schreiben vom Finanzamt. Diese werden gescannt und im DMS der Kanzlei abgelegt. Die Aufgabe „Grundsteuer“ wird erstellt, anschließend die Auftrags- und Honorarvereinbarung verschickt und auf die Unterschriften gewartet.

An dieser Stelle gehört ein weiteres Gateway, denn der Mandant kann auch an dieser Stelle wieder das Interesse verlieren oder sich anderweitig entscheiden. Entscheidet sich der Mandant für die Fortführung der Zusammenarbeit, kommen die Dokumente unterschrieben von ihm zurück. Im nächsten Prozessschritt werden Mandant und Projekt in der Software angelegt, vorzugsweise in Opti.Tax Grundsteuer. Danach startet die Datenerfassung in der Software.

Import und Ausarbeitung der Prozessdokumentation in Opti.Tax

Es gibt die Möglichkeit, die Prozessvisualisierung auf bpmn.io in Opti.Tax zu importieren. Dazu wird der soeben erstellte Prozess auf dem eigenen Datenträger abgespeichert. In Opti.Tax in einer Prozessdokumentation kann über den Menüpunkt „Projekt -> Prozess aus BPMN-Datei importieren …“ die abgelegte Datei ausgewählt werden. Der Prozess wird in Opti.Tax von oben nach unten dargestellt. Anders als auf der Website kann nun in Opti.Tax jeder einzelne Prozessschritt angeklickt und mit einem längeren Beschreibungstext versehen werden. So ist es möglich, jeden Schritt genau zu definieren, beispielsweise mit der Hinterlegung klarer Anweisungen für die Mitarbeitenden. Parallel erstellt die Software das Ganze auch als Live-Reporting-Dokument. Darin wird die Prozessdokumentation vollständig in Textform abgebildet.

Die Prozesserfassung ist nicht besonders schwierig. Auch Optimierungen sind einfach integrierbar. Viel schwieriger ist es, neue Prozessabläufe im Kanzleialltag zu leben. Wie schafft es eine Kanzleiführung, alle Mitarbeitenden dazu zu bringen, die einheitlichen Abläufe einzuhalten? Paul merkt an, dass es schon helfe, das Team bei der Gestaltung der Prozesse mit einzubeziehen. Zudem sollte nicht für Mandanten die eigenen Prozesse über Bord geworfen werden. Denn am Ende des Tages bezahlen die Mandanten mit Qualitätseinbußen und höheren Kosten für unnütze, kurzfristig attraktiv erscheinende Extrawürste. Und frustrierte Mitarbeitende arbeiten nicht nur langsamer und weniger zuverlässig, sie kündigen auch schneller oder werden eher krank.

Fazit: Prozessdokumentation schafft Mehrwerte, aber auch Arbeit

Zusammenfassend kann festgehalten werden: Eine Steuerkanzlei sollte zunächst das Ist dokumentieren, anschließend gemeinsam mit dem Team das Soll definieren. Im Nachgang wird darauf geachtet, dass die definierten Prozesse eingehalten werden. Die Prozesse sind aber nicht für immer in Stein gemeißelt. Werden bei der Umsetzung des Solls Schwächen identifiziert, sollte gemeinsam an Optimierungen gearbeitet werden. Zum Thema Prozessvisualisierung und -modellierung gibt es einen E-Learning-Kurs, buchbar über die hsp.community.