Böse Zungen sagen, eine Verfahrensdokumentation wäre ein Zwang, den das Finanzamt Unternehmen auferlegt, damit es die Betriebsprüfer leichter haben. Dabei liegt in der Verfahrensdokumentation eine Chance für die Unternehmer selbst, und zwar nicht nur für große Unternehmen, auch – oder vielleicht vor allem – für Einzelunternehmer. Und auch Steuerberater profitieren, wenn ihre Mandanten die Dokumentation richtig nutzen. Dabei kommt es nicht so sehr auf ein bestimmtes Tool zur Erstellung, sondern auf den richtigen Umgang mit der Verfahrensdokumentation an.

Bereits seit 2015 ist die Verfahrensdokumentation gemäß GoBD (Grundsätze zur ordnungsgemäßen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff) Pflicht. Die Verfahrensdokumentation soll demnach die Prozesse und Geschäftsvorgänge im Unternehmen festhalten, sodass diese nachvollziehbar und nachprüfbar sind – und zwar in digitaler Form. Steuerrelevante Daten müssen dem Finanzamt bei einer Betriebsprüfung also elektronisch zur Verfügung gestellt werden. „Aber es klappt im Moment noch in den wenigsten Fällen, dass wir die Daten sofort mitnehmen“, erzählt Andrea Köchling, die neben ihrer Tätigkeit als Betriebsprüferin Referentin für Verfahrensdokumentationen ist.

Hoher Stellenwert bei der Kassenschau

Bereits im ersten Schritt der Betriebsprüfung, der Kassennachschau, hat die Verfahrensdokumentation einen hohen Stellenwert.  „Die Verfahrensdokumentation gehört im Bereich der Kasse zum Ausschluss vor Manipulation mit zur absoluten Grundausstattung“, so die Fachfrau. Unternehmer müssen unter anderem Programmiertabellen und Bedienungshandbücher vorweisen und darlegen, wie die Kasse auf die speziellen Gepflogenheiten des Unternehmens umgestaltet wurde. Die Unveränderbarkeit der Eingaben der Geschäftsvorfälle ist dabei laut gerichtlichen Entscheidungen ein absolutes Muss.

Dabei erleichtert die digitale Verfahrensdokumentation bereits bei der Kassennachschau nicht nur den Betriebsprüfern die Arbeit. Als „Notfallkoffer“ bezeichnet Andrea Köchling das, was jeder Unternehmer für die Kasse parat haben sollte: Programmierprotokolle, Handbücher, Telefonnummern vom Steuerberater, Kassenhersteller und -aufsteller, Anweisung für die Mitarbeiter. Beispielsweise bei technischen Problemen mit der Hardware liegen die entsprechenden Unterlagen und Telefonnummern dann direkt vor, sodass der Unternehmer und seine Mitarbeiter schnell handeln können.

Vier Bereiche der großen Betriebsprüfung

Die Große Betriebsprüfung, also die des gesamten Unternehmens, unterteilt sich wiederum in vier Bereiche: in die allgemeinen Informationen über das Unternehmen, die Anwenderdokumentation, die Systemdokumentation und die Betriebsdokumentation. Erstere und letztere sind vom Unternehmer zu erstellen, die Anwender- und Systemdokumentation erbringt der Hersteller des Datenverarbeitenden Systems. Der Schwerpunkt der Verfahrensdokumentation liegt also in den Abläufen des Unternehmens und in der Software bzw. Datenschnittstelle.

Wie sind die Daten gespeichert, wo kommen sie her, wie sind sie gesichert – „das ist das Herzstück dessen, was der Unternehmer beantworten muss“, weiß Andrea Köchling. Die Verfahrensdokumentation ist also weitaus mehr als bloß belegersetzendes Scannen. Denn es gilt auch, die Zusammenhänge der Daten, die Datenflüsse, festzuhalten und darzustellen. Hierbei, und auch bei den allgemeinen Informationen über das Unternehmen, sind Diagramme und Organigramme nützlich. Denn visualisierte Prozesse sind übersichtlicher und nachvollziehbarer für die beteiligten Personen. Und beim Visualisieren selbst wird Unternehmern manchmal direkt klar, wo Prozesse nicht optimal laufen. Prozessdokumentation ist hier also ein treffenderer Begriff als Verfahrensdokumentation.

Wissen bleibt erhalten

Der große Nutzen einer Verfahrens- oder Prozessdokumentation für den Unternehmer liegt darin, dass kein Wissen verloren geht.  Mit Hilfe von Arbeitsplatzbeschreibungen sind zum Beispiel Zuständigkeiten geregelt und leichteres Einarbeiten neuer Mitarbeiter möglich. Und sind Daten gespeichert, sind sie vor Verlust geschützt, können immer wieder abgerufen und weitergegeben werden.

„Gerade Einzelunternehmer brauchen einen Notfallplan für sich selbst“, rät Andrea Köchling. „Der Seniorchef hat oft alles im Kopf gespeichert. Wenn ihm mal was passiert, sind die Erben arm dran.“ Diese sind dann aber Ansprechpartner für die Finanzverwaltung, müssen Rechenschaft ablegen und das Unternehmen weiterführen. Können sie es nicht, muss im schlimmsten Fall das Unternehmen schließen.

Sind Abläufe, Prozesse und Verantwortlichkeiten aber beschrieben und festgehalten, kann dem vorgebeugt werden. Zudem können Unternehmen mit einer Verfahrensdokumentation – die also auch als Unternehmerhandbuch bezeichnet werden kann – besser auf neue Situation reagieren, die sich unerwartet einstellen – wie jüngst die Corona-Pandemie. Das Beispiel Kasse zeigt, dass Unternehmen mit „Notfallkoffer“  bei der Umsatzsteueränderung am 1.7.direkt wussten, was zu tun ist. Sie brauchen auch die Rolle rückwärts mit dem bevorstehenden Jahreswechsel nicht zu scheuen.

CTA Box Verfahrensdokumentation

Verfahrensdokumentation ist nicht schwer

Aber wie fängt man mit einer Verfahrensdokumentation am besten an? „Das ist Geschmackssache“, meint die Expertin Andrea Köchling. Der Steuerberaterverband oder der Deutsche Fachverband für Kassen- und Abrechnungssystemtechnik beispielsweise stellt kostenlose Word-Dokumente zur Verfügung, die entsprechend ausgefüllt und angepasst werden können. „Es gibt mittlerweile auch sehr gute Online-Anbieter, die auch gar nicht mal teuer sind“, so Köchling. Vorteil hier: Manche Tools ermöglichen es, Aufgaben und Rechte zu verteilen. Mitarbeiter können also konkret beauftragt werden, bestimmte Daten einzupflegen; dem Betriebsprüfer kann ein Lesemodus eingeräumt werden.

Mit solchen Vorlagen oder Online-Tools kann sich der Unternehmer an bestimmten Vorgaben oder auch Fragen entlang hangeln. Ohnehin muss er bei der Verfahrensdokumentation nicht bei null anfangen: Viele Fragmente gibt es schon, zum Beispiel Arbeitsplatzbeschreibungen, Zuständigkeiten, Standort des Servers. Die Verfahrensdokumentation bündelt all diese Informationen und ist somit das Gesamtwerk aller Informationen im Unternehmen.

Ist dieses Gesamtwerkt einmal vorhanden, muss es „leben“, also stetig aktualisiert werden. Veränderungen müssen eingefügt werden, das Alte darf dabei aber nicht einfach überschrieben werden. Denn die Verfahrensdokumentation muss GoBD-konform sein, dazu zählt auch das Kriterium der Unveränderbarkeit.

Chance für Unternehmer

Verfahrensdokumentation, Prozessdokumentation oder Unternehmerhandbuch – für welchen Begriff sich Unternehmer auch entscheiden, Hauptsache, sie arbeiten damit. „Wenn man es einmal geschafft hat, läuft es, dann ist es ein Selbstläufer“, weiß Andrea Köchling. Der positive Zwang, den das Finanzamt dabei ausspricht, ist also zum Vorteil des Unternehmers gedacht: Nicht nur das Finanzamt hat ein Interesse an einer schnellen und effizienten Betriebsprüfung. Darüber hinaus sichert die Dokumentation Daten und Wissen, stellt Prozesse und Abläufe dar und optimiert diese; sie sorgt für Übersichtlich- und Nachvollziehbarkeit, ermöglicht eine schnelle Anpassung an neue Situationen

Steuerberater tun also gut daran, ihren Mandaten zu einer Verfahrensdokumentation zu raten – und profitieren letztlich auch selbst davon. Schließlich lernen sie ihren Mandaten mit Hilfe der Dokumentation besser kennen und können bei Neumandaten entscheiden, ob der Kunde überhaupt zu ihnen passt. Oder wie das Beispiel Pandemie erneut zeigt: Viele Berater haben nun ein Interesse daran, dass Mandanten Belege digitalisiert an die Kanzlei schicken. Diesen Prozess mit dem Mandanten zu erstellen und schriftlich festzuhalten, ist schon der erste Schritt zur Verfahrensdokumentation – der Anfang ist also leicht gemacht.